JR-Zentrum für Grundlegung einer personalisierten Musiktherapie

Scientist of the Month: Gerhard Tucek und die Wissenschaft vom richtigen Augenblick

05.04.2024: Besondere Momente zwischen Therapeut*in und Patient*in sind in der Musiktherapie und darüber hinaus von großer Bedeutung für den Behandlungserfolg: Gerhard Tucek will diese Momente wissenschaftlich greifbar machen!

Worum es geht

Resonanzerfahrungen drücken, so Zentrumsleiter Tucek, menschliche Grundbedürfnisse nach dem Verstehen und Verstanden-Werden aus. Wie aber können diese "Begegnungsmomente" in der Musiktherapie von beispielsweise an den Folgen von Schlaganfällen oder Schädel-Hirn-Traumata leidenden Menschen auf methodische Art und Weise erkannt, umrissen und beschrieben werden? Hier einer Lösung näher zu kommen war eines der Hauptziele des Josef Ressel Zentrums für Grundlegung einer personalisierten Musiktherapie an der IMC FH Krems mit den Unternehmenspartnern NÖ Lan-desgesundheitsagentur, s-team IT solutions GmbH und pro mente Reha GmbH.

Die neuartige und komplexe Fragestellung machte eine Studie mit einem besonders ausgefeilten Setup nötig: In jeder Therapiesitzung wurden sowohl Musiktherapeut*in als auch Patient*in zur durchgehenden Messung von elektrischen Hirn- und Herzaktivitäten an ein EEG und EKG angeschlossen, wodurch diese Messungen gemeinsam mit Videoaufnahmen der Sitzung aufgezeichnet werden konnten.

Vom richtigen Zeitpunkt

Dies erlaubte es den Forschenden einerseits, die Teilnehmenden sowohl live zu beobachten als auch später die Aufzeichnung zu analysieren (etwa bezüglich nonverbaler Interaktion und Körpersprache). Andererseits ermöglichte es den Forscher*innen auch, den Patient*innen im Rahmen nachfolgender Besprechungen und qualitativer Interviews ihre Sitzungen in voller Länge vorzuführen und sie dabei zu bitten, von ihnen als besonders wahrgenommene Momente im Videomaterial zu identifizieren – welche dann wiederum mit den EEG- und EKG-Werten zum entsprechenden Zeitpunkt abgeglichen werden konnten.

Prof. Tucek und sein Team sprechen von sogenannten „Moments of Interest“ oder "MOIs" und deren Gegenstücken, den "Moments of no Interest", kurz "MONIs": Der Grundgedanke der Studie und deren theoretischem Unterbau gehen davon aus, dass sich innerhalb eines passenden Zeitfensters – zum "richtigen Moment", was dem "Right Moment Project" des JR-Zentrums seinen Namen gibt – mehrere MOIs ereignen werden, und dass solche MOIs positive Auswirkungen auf die Qualität therapeutischer Interventionen haben.

Signifikante Korrelation: Der Moment der Nähe ist messbar?

Auf der Suche nach Momenten beiderseitiger Resonanzerfahrungen erweisen sich natürlich jene Momente als besonders interessant, die von Therapeut*in und Patient*in unabhängig voneinander als MOIs deklariert wurden. Zusätzlich können auch einander ähnelnde EEG-Aktivitäten von Musiktherapeut*in und behandelter Person auf weitere, unausgesprochene gemeinsame MOIs hinweisen, deren Recherche wiederum durch die Videoaufzeichnung erleichtert wird.

So wurden zahlreiche MOIs von sowohl Patient*innen- als auch Therapeut*innen-Seite aus den Videos ausgewählt und zeitliche Überlappungen besonders berücksichtigt: In den meisten Therapiesitzungen konnte mindestens ein solcher Moment entdeckt werden, der von beiden Parteien als MOI empfunden wurde, und auch in der EEG-Analyse konnten in diesen Fällen signifikante Korrelationen der Hirnaktivitäten beider Personen gefunden werden, welche den Status dieser Momente als beiderseitige MOIs untermauern. MONIs traten dagegen sehr selten auf, etwa während per se weniger kommunikativer Momente wie jener der Vorbereitung von Instrumenten und Notenblättern.

Erfolg der Empathie

Besagte Ergebnisse dokumentieren die positiven Reaktionen der Patient*innen auf Musiktherapie und mit Therapeut*in geteilte freudige emotionale Erfahrungen nicht nur, sondern machen sie auch in den EEG-Aufzeichnungen sichtbar. Diese Erkenntnisse werden wertvolle Impulse für zukünftige Therapien setzen. Gleichzeitig ist aber auch der positive Effekt solcher Erfahrungen auf Therapeut*innen nicht zu unterschätzen, wie Prof. Tucek erklärt: "Viele glauben, lernen zu müssen, sich von Patient*innen abzugrenzen, um nicht auszubrennen", er selbst sei aber überzeugt, man müsse "lernen, sich mit anderen Menschen zu verbinden!"

Wissenschaftliche Herausforderung
Das "Right Moment Project" und zwei weiteren Forschungsschwerpunkte des JR-Zentrums greifen thematisch ineinander: Im "Right Period Project“ geht es um die Möglichkeiten für die reproduzierbare Herbeiführung der genannten therapeutischen Begegnungsmomente. Zentral ist dabei die Bestimmung eines auf die behandelte Person "maßgeschneiderten" optimalen Zeitfensters für einen musiktherapeutischen Impuls: In besagtem Fenster sollen Patient*innen maximal aufnahmefähig und Therapeut*innen maximal achtsam und empathiefähig sein. Der dafür notwendigen Entwicklung und Vertiefung emphatischer Fähigkeiten von (angehenden) Therapeut*innen ist wiederum das „Empathy Project“ gewidmet.

Mehrwert für die Unternehmen
Für Unternehmen und Organisationen im Therapie- und Pflegebereich sind zwei Fragen zentral: Einerseits, wie Fachkräfte gewonnen und gehalten werden können: Dafür ist unter anderem wichtig, dass sie ihre Arbeit mit Patient*innenkontakt primär als positiv-konstruktiv statt belastend erleben. Andererseits, wie noch mehr und bessere Heilungserfolge bei Patient*innen erreicht werden können. Prof. Tucek und sein Team haben im Bereich der Musiktherapie Grundlagenwissen aufgebaut, das zur Beantwortung beider Fragen beitragen wird: Die untersuchten beiderseitigen positiven Resonanzerfahrungen zwischen Therapeut*in und Patient*in haben das Potential, sowohl dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken als auch die Patient*innen bei ihrer Regeneration zu unterstützen.

Leitung

Prof.(FH) Priv.Doz. Mag. Dr. Gerhard Tucek

IMC Fachhochschule Krems GmbH

Laufzeit

01.09.2016 - 31.08.2021

Unternehmenspartner

NÖ Landesgesundheitsagentur , s-team IT solutions GmbH , pro mente Reha GmbH

Christian Doppler Forschungsgesellschaft

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